Das Paradies für Aktienanleger – wie sieht es aus? In etwa so: Immer investiert sein, wenn die Kurse steigen, und immer Cash halten, wenn sie fallen. Das wäre es doch! Aber wie das mit Paradiesen so ist: Auf der Erde werden sie selten Wirklichkeit. Wer an den Börsen investiert, muss auch Rückschläge aushalten. Nicht umsonst spricht man bei den Renditen an den Aktienmärkten von Risikoprämien. Und der Anleger wird für das Ertragen der Risiken belohnt. Das hat Nick Maggiulli vom US-Vermögensverwalter Ritholtz anhand des S&P 500 für den Zeitraum von 1950 bis 2018 vorgerechnet. Wir haben nachgerechnet, den Betrachtungszeitraum um mehr als 20 Jahre erweitert und die Analyse auf weitere Aktienindizes übertragen.
Das Ertragen von Risiken fällt vielen schwer. Da hilft es, wenn man lernt, sie besser zu verstehen. Dazu haben wir berechnet, wie sich die Wertentwicklung eines Investments verändert, wenn der Anleger in Jahren mit deutlichen Kursrückschlägen (Maximum Drawdowns) Cash halten könnte und nur in Jahren mit moderaten Rücksetzern in Aktien investiert wäre. Wenn er also Risiken meiden könnte und damit zumindest in einem kleinen Paradies leben würde. Auch dieses Paradies existiert so natürlich nicht. Der Anleger kennt die Drawdowns ja nicht im Voraus. Aber das schieben wir für einen Moment beiseite. Wir wollen nur zeigen, wie starke Drawdown-Jahre die Rendite beeinflussen.
Besonders aussagekräftig ist diese Analyse für den S&P 500 mit seiner Kurshistorie seit 1928. In unserer Rechnung haben wir die Drawdown-Schwelle, die der Investor zu ertragen bereit ist, variiert. Im ersten Fall hält er bereits in allen Jahren mit Kursrückschlägen von mehr als fünf Prozent Cash. Wir haben es also mit einem sehr vorsichtigen Anleger zu tun. Unsere Grafik zeigt das Ergebnis. Der Investor hat sein Aktienportfolio viel zu oft leer geräumt. Insgesamt war er nur in sieben von 91 Jahren im S&P 500 investiert, was an den langen waagrechten Abschnitten im Performance-Verlauf zu erkennen ist. Damit vermeidet er zwar jeden nennenswerten Drawdown, aber er verpasst auch den Löwenanteil der Gewinne. Folge: Er schneidet signifikant schlechter ab als der S&P 500. In Zahlen: Aus einem Dollar, der 1928 in den Index gesteckt wurde, wären in 91 Jahren 142 Dollar geworden. Mit dem Vermeiden von Fünf-Prozent-Drawdown-Jahren hätte der Investor am Ende nur knapp fünf Dollar auf dem Konto (Hinweis: Handelskosten und Steuern sind in den Rechnungen nicht berücksichtigt).
Wie unsere Tabelle zeigt, sind die Unterschiede bei den Renditen immens.
Was zeigt die Analyse? Dass Aktienanleger ein gewisses Maß an Kursrückschlägen verkraften müssen. Sonst laufen sie Gefahr, ihre Performance stark zu beeinträchtigen. Denn niemand schafft es, die Drawdowns exakt abzupassen und dann komplett zu umschiffen. Einen entscheidenden Renditevorteil gegenüber dem Markt kann der Investor allerdings erzielen, wenn es ihm gelingt, größere Drawdowns ab etwa 15 oder 20 Prozent abzufedern. Wir haben die Rechnung auch für den DAX und den MSCI World durchgeführt, bei denen die Datenhistorie allerdings nicht so weit zurückreicht. In beiden Fällen ergibt sich trotzdem ein sehr ähnliches Bild. Die Renditen sind am höchsten, wenn Jahre mit mehr als rund 20 Prozent Drawdown aus der Wertentwicklung herausfallen.
Bleibt die Frage, wie man Drawdowns überhaupt abpuffern kann. Mit dem Versuch, Kurse zu prognostizieren jedenfalls nicht, weil Kurse so gut wie nicht vorhersagbar sind – das zeigen wissenschaftliche Studien. Das gleiche gilt für jährliche Maximum Drawdowns. Sie korrelieren zwar über die Zeit positiv. Mit anderen Worten: Auf ein Jahr mit überdurchschnittlich hohem Drawdown folgt tendenziell wieder eines mit hohem Drawdown. Die Korrelation ist aber derart schwach, dass jährliche Drawdown-Prognosen mehr oder weniger Glückssache sind. Anders sieht es aus, wenn man zum Beispiel Tagesdaten statt Jahresdaten betrachtet. Hier sind Risikoprognosen aussagekräftiger und ermöglichen ein dynamisches Risikomanagement, das darauf ausgerichtet ist, größere Kurseinbrüche an den Märkten zu dämpfen, indem es die Risikolage an den Börsen analysiert und daraus Handelsentscheidungen ableitet. Das gelingt natürlich keineswegs perfekt, aber es verbessert langfristig das Rendite-Risiko-Profil einer Anlage.
Bild: Tara Evans, unsplash.com
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